“R2-D2 übernimmt. In San Francisco dürfen Robotaxis neuerdings im gesamten Stadtgebiet fahren. Über die Webstühle des Mobilitätskapitalismus.”


In: junge Welt
jungewelt.de

Einer der milliardenschweren Träume des Silicon Valley ist seiner Verwirklichung ein Stück näher gekommen: In San Francisco dürfen ab sofort zwei Digitalunternehmen fahrerlose Taxifahrten in der ganzen Stadt anbieten. Das ist wie roboterisiertes Uber. Was ist davon zu halten?

Robotaxis gehören in San Francisco zum Straßenbild, seit die beiden Firmen Waymo und Cruise vor einigen Jahren begannen, ihre fahrerlosen Fahrzeuge in der Stadt zu testen. In letzter Zeit bekamen es die Fahrzeuge immer häufiger mit Sabotageaktionen und Streichen, oft aber schlicht mit gängigen Verkehrsaggressionen wie Schneiden, Abdrängen und Ausbremsen zu tun.

Die »Safe Street Rebels« erklären die Sabotage der mobilen Roboterautos zum organisierten Widerstand. In der »Woche des Hütchens« riefen sie zur Blockade autonomer Fahrzeuge auf. Das geht nämlich ganz einfach: Plaziert man auf dem Autodach oder der Motorhaube einen Leitkegel (Warnhütchen, wie sie zum Absperren von Fahrbahnen benutzt werden), können sie lahmgelegt werden. Die fahrerlosen Gefährte können die Situation nicht analysieren, aktivieren die Warnblinkanlage und bleiben sofort stehen.

Normalerweise greifen bei Störungen – oder wenn das autonome Fahrzeug nicht mehr weiter weiß – Techniker per Fernwartung auf es zu und versuchen, es wieder flottzubekommen. Aber das geht nicht, wenn ein Hütchen auf dem Fahrzeug steht. Da seit letztem Jahr keine Sicherheitsfahrerinnen und -fahrer an Bord der Fahrzeuge mehr präsent sein müssen, dauert es eine Weile, bis die Pannenhilfe vor Ort ist, und die paralysierten Fahrzeuge werden zu veritablen Verkehrshindernissen.

Mobilitätsludditen

Die Aktionen der »Safe Street Rebels« erinnern an diejenigen der Ludditen aus der Frühzeit des Industriekapitalismus. Die Anhänger Ned Ludds (einer vermutlich fiktiven Person) waren eine Gruppe gelernter Textilarbeiter, die gegen die Einführung neuer Webstühle protestierten, die ihrer Meinung nach zu Arbeitslosigkeit und geringeren Löhnen für die Arbeiter führen würden. Der Name »Ned Ludd« entstand vermutlich als Pseudonym, das die Aktivisten beim Schreiben von Drohbriefen an Kapitalisten benutzten. Der Begriff »Luddit« wird seither gern verwendet, um jemanden zu beschreiben, der technologische Fortschritte ablehnt oder Angst davor hat, obwohl sich die historischen Ludditen speziell mit den Auswirkungen von Maschinen auf ihren Lebensunterhalt beschäftigten.

Karl Marx und Friedrich Engels nannten sie »Maschinenstürmer«. Auch wenn sie deren frühe Kämpfe und Organisierungsbemühungen für wertvoll hielten, kritisierten sie die Ludditen, weil sie die Maschinen selbst angriffen, als wären sie das Problem – und nicht die Verhältnisse, unter denen sie zur Anwendung kamen bzw. zur Ausbeutung und Profitgenerierung eingesetzt wurden. Marx schrieb im »Kapital«: »Es bedarf Zeit und Erfahrung, bevor der Arbeiter die Maschinerie von ihrer kapitalistischen Anwendung unterscheiden und daher seine Angriffe vom materiellen Produktionsmittel selbst auf dessen gesellschaftliche Exploitationsform übertragen lernt.« Es gibt allerdings auch andere Stimmen, die die frühe Arbeiterbewegung der Ludditen vielschichtiger einschätzen. Der marxistische Historiker Edward Thompson schrieb in seinem Klassiker über die Entstehung der englischen Arbeiterklasse: »Der Luddismus war eine quasi aufständische Bewegung, die ständig um die Grenze zu revolutionären Zielen oszillierte.«

Doch ist der Maschinensturm inhärent konservativ, weil er ja die neuen Maschinen ablehnt, aber nicht die alten Maschinen und Werkzeuge. Er greift mit seinen Aktionen zunächst weder die kapitalistischen Produktionsverhältnisse an noch die Produktionsweise. »Maschinenstürmer« kritisieren einzig die neue Produktionsweise, indem sie deren Manifestationen vom Standpunkt der alten Produktionsweise sabotieren, die weniger mechanisiert, weniger automatisiert ist. Gilt diese Kritik auch für die Hütchenspieler in San Francisco?

Der Stand der Dinge

Kalifornien ist der »Ground Zero« für Robotaxitestbetriebe in den USA. Über 50 Unternehmen sind in diesem Bundesstaat für den Betrieb autonomer Fahrzeuge zu Testzwecken zugelassen. Einige davon führen Praxistests mit autonomen Taxiflotten durch, die auf einen wirtschaftlich tragfähigen Betrieb abzielen.

Am weitesten sind Waymo und Cruise: Beide Firmen verfügen über eine Flotte unbemannter Fahrzeuge, die selbständig unterwegs sind, ohne dass Sicherheitspersonal an Bord der Fahrzeuge sein müsste. Beide dürfen von ihren Kundinnen auch schon Geld verlangen, Fahrten können über eine App gebucht werden, ganz wie bei Uber und anderen Fahrunternehmen.

Waymo und Cruise setzen für ihren Service auf eine Kombination aus detaillierten Straßenkarten sowie Lidar-Sensoren, Radar und Kameras. Ihre Dienste sind auf geographische Gebiete beschränkt, die im Vorfeld minutiös kartiert werden. Diese »Operational Design Domains« sind durch GPS-Koordinaten virtuell abgesteckte Betriebsbereiche.

Waymo begann 2009 als Google-Tochtergesellschaft mit der Entwicklung selbstfahrender Autos. Es geht seitdem recht behutsam vor, bislang gab es in den fünf Jahren seit Beginn des Testbetriebs nur kleinere Unfälle. Der Robotertaxidienst Waymo One wurde 2018 in einem Vorort von Phoenix, Arizona, gegründet. Derzeit bewegen sich die Fahrzeuge dort auf einer Fläche von 466 Quadratkilometern, was ungefähr der Hälfte des Landes Berlin entspricht. Cruise wurde 2013 als Technologie­startup gegründet und 2016 vom Automobilhersteller General Motors (GM) übernommen. Mit Amazon ist ein weiteres Techunternehmen in diesem Bereich aktiv. Amazon testet eine Flotte von Robotaxis auf öffentlichen Straßen in Kalifornien, wobei Mitarbeiter als Passagiere eingesetzt werden. Zoox, eine hundertprozentige Tochter von Amazon, hat dafür ein eigenes Fahrzeug entwickelt.

Seit dem 10. August 2023 dürfen die beiden Techunternehmen Cruise und Waymo ihre Robotaxidienste auf das gesamte Stadtgebiet von San Francisco ausweiten und rund um die Uhr operieren. Das hatte nach einer Anhörung die zuständige Behörde beschlossen, die California Public Utilities Commission (CPUC).

Gegen eine Ausweitung der Betriebszulassung sprachen sich bei dieser Gelegenheit Vertreter von Transport- und Sicherheitsbehörden sowie viele Anwohnerinnen und Anwohner aus. Sie äußerten Bedenken hinsichtlich unberechenbarer Fahrweise und Beeinträchtigungen ihres Betriebs. Die Stadt San Francisco sowie die örtliche Feuerwehr und Polizei hatten sich bereits im Vorfeld gegen eine Freigabe des Robotaxis rund um die Uhr ausgesprochen.

Befürworter, darunter Technologieexperten und weitere Anwohnerinnen und Anwohner, argumentierten, dass selbstfahrende Autos eine sicherere Alternative zu menschlichen Fahrern darstellen. Sie gaben auch zu bedenken, dass die Erprobung neuer Mobilitätssysteme der Stadt Aufmerksamkeit und die Chance auf zukunftssichere Arbeitsplätze biete.

Am Ende der sechsstündigen Anhörung stimmte das zuständige Gremium mit drei zu eins für den Antrag der beiden Unternehmen. Einer derjenigen, der dafür stimmte, hatte zuvor in der Rechtsabteilung von Cruise gearbeitet, was den demokratischen Abgeordneten von San Franciscos drittem Distrikt zu dem Kommentar veranlasste: »Die CPUC hat San Francisco an Lobbyisten verkauft«.

Bei der Genehmigung der Erweiterung legte die Kommission am 10. August einige Richtlinien fest: Waymo darf ab sofort die Geschwindigkeit auf maximal 65 Meilen pro Stunde erhöhen und auch bei schlechtem Wetter fahren. Cruise hingegen wird auf 35 Meilen pro Stunde gedrosselt und darf zunächst nur bei guten Sichtverhältnissen unterwegs sein. Ein erster Hinweis darauf, dass die beiden Firmen über unterschiedliche Erfahrungen verfügen. Cruise traut die CPUC weniger zu als Waymo.

Waymo und Cruise gelten als die beiden vielversprechendsten Mitbewerber bei der Kommerzialisierung von Robotaxis in den USA, wobei Waymo eindeutig vorne liegt – was sich in den unterschiedlichen Auflagen der Stadt San Francisco niederschlägt. Nach Bekanntwerden der Entscheidung wollte sich zunächst keines der Unternehmen festlegen, wann und wie sie gedenken, ihre Dienste tatsächlich im gesamten Stadtgebiet rund um die Uhr anzubieten.

Foto Chris Sunde; original uploader was Christopher Sunde at en.wikipedia. – Original unknown, this version from http://www.learnhistory.org.uk/cpp/luddites.htm (archive), Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4150391