Book: “Agiler Kapitalismus. Das Leben als Projekt”


Edition Nautilus

Agile Methoden haben die Softwarebranche revolutioniert: kleine, selbstorganisierte Teams produzieren in kurzen Iterationszyklen immer neue Iterationen – ein perpetuierter Kreativprozess. Darüber hinaus sind sie auch in nahezu alle Branchen, in denen Projekte gestemmt, kreativ gearbeitet, neue Produkte und Dienste entwickelt werden, nicht mehr wegzudenken. Auch jenseits des Arbeits- und Projektlebens heißt die Parole: sei agil, beweglich, flexibel! Bleib nicht stehen, investiere in Dich selbst, erfinde Dich neu! Schon Kinder müssen performant sein und Kompetenz beweisen, und auch für Senioren gibt es keine Pause: Ruhestand war gestern, heute muss immer etwas unternommen werden!

Das alte Wasserfall-Modell aufeinander aufbauender Projektphasen mit festen Regeln, Rollen und Abläufen gehören nicht nur in der Arbeitswelt der Vergangenheit an. Aus der festen Abfolge von Kindheit, Ausbildung, Berufsleben und Lebensabend wird ein Kontinuum an Aktivitäten. Nicht nur das Berufsleben, auch das Private wird zum Projekt, und es wird gemessen, evaluiert und bewertet, was das Zeug hält: Der Arbeitgeber zählt die Klicks und die Augenbewegungen, in der Freizeit zählen wir unsere Schritte und berechnen unseren Gesundheits-Score. In der agilen Welt sind wir ständig angehalten, als unsere eigenen Manager zu agieren, ganz wie ein DAX-Konzern.

Im ersten Kapitel »Die agile Revolution« geht es zunächst um die Neuerfindung des Projektmanagements vor bald zwanzig Jahren, als die agilen Revolutionäre das alte Wasserfallmodell hinter sich ließen und ihre agilen Methoden einen Siegeszug um die Welt antraten. Selbst zu Coronazeiten halten sie passende Antworten parat, um auch unter Lockdown-Bedingungen agile Softwareproduktion durch resiliente Coder-Subjekte gewährleisten zu können.

Im zweiten Kapitel »Die große Code-Industrie« geht es um die Millionen Programmiererinnen und Programmierer und ihren Arbeitsalltag, die Produktion maschinenverständlicher Programmcodes. Sie sind längst Teil einer Maschinerie geworden, die den Digitalen Kapitalismus am Laufen hält.

Das dritte Kapitel »Das Kapital dressiert, der Arbeiter pariert« unternimmt einen Ausflug in die Geschichte des Managements, der Königsdisziplin des Kapitals, wenn es um velocity & control geht. Seit Adam Smiths Lob der Arbeitsteilung und Frederick Taylors Wissenschaft von der Ausbeutung
hat sich viel verändert, die grundlegenden Ziele sind jedoch die gleichen geblieben.

Im vierten Kapitel »Vom Fließband zur Agilität« geht es um gleich drei Revolutionen in der Automobilindustrie. Nach der ersten, die mit der Einführung des Fließbands begann, und der zweiten, die mit dem Lean Production Paradigma datiert ist, steht derzeit eine dritte an. Agilität hält Einzug in einer Industrie, die sich mit ihrer Hilfe zum Softwaredienstleister transformieren möchte.

In Kapitel fünf »Wir sind ja nicht zum Spaß hier« geht es um die Erfindung des Projekts, eine Frischzellenkur, die sich das Kapital, verschiedene Kritiken einverleibend, verpasst hat, und die dazu führt, dass Spielelemente in der Arbeitswelt Einzug halten, während gleichzeitig die Freizeit immer mehr der Arbeit ähnelt – vornehmlich der Arbeit des Subjekts an sich selbst.

»Wo ist bloß der Chef geblieben?« ist die zentrale Fragestellung im sechsten Kapitel, wird doch innere Führung und kybernetische Steuerung in der agilen Organisation hochgehalten, die von dieser alten Rolle, die aus der Mottenkiste des bürokratischen Betriebskapitalismus stammt, nichts mehr wissen will. Ganz verschwunden ist die Rolle des Chefs jedoch nicht,
das sei an dieser Stelle verraten.

Das siebte Kapitel »Free solo« widmet sich dem historischen Subjektivitätstreck zur Freiheit in der Unfreiheit, der in der Sklaverei seinen Anfang nahm, historisch beim doppelt freien Lohnarbeiter kurz Halt machte, um heute wieder Fahrt aufzunehmen in Richtung noch freierer Arbeitskraftunternehmerinnen und Solo-Selbstständige.

Das Schlusskapitel »Das Kapital macht agil, bei Arbeit, Sport und Spiel« zieht das Fazit: Was bei den agilen Methoden seinen Anfang nahm, die Herausbildung einer Arbeits- und Projektorganisation, getragen von resilienten Selbstoptimierern, geschmiert durch kybernetische Gruppensteuerung, führt zu einem agilen Kapitalismus, der selbst einen Atomkrieg oder eine Pandemie zu überleben imstande ist.